Terézia Mora

Am 13. April las Terézia Mora aus ihrem Roman «Der einzige Mann auf dem Kontinent»1.

Sie wäre letztes Jahr vorgesehen gewesen, war dann allerdings erkrankt und musste die Lesung ausfallen lassen.

Ich holte sie vom Bahnhof ab. Haben Sie Angst vor Hunden? Mein Auto ist ein Hundeauto. – Nein, wo sitzen die Hunde denn nie? – Vorne rechts auf dem Sitz. – Da werd ich mich dann hinsetzen.

Sie kennt Biel bereits ein wenig von ihrer Tätigkeit am Literaturinstitut her. Durch diese Allee bin ich jeweils mit «meinen» Studenten gegangen, Richtung Bahnhof. Das war sehr angenehm in Biel damals. Ich kenne das Leipziger Literaturinstitut auch ein wenig. Zwischen Leipzig und Biel gibt es einen Unterschied: Wenn ich in Biel darum bat, auf die nächste Woche ein Buch zu lesen, so war es, als ich nachfragte, tatsächlich gelesen. Wenn ich dies und jenes zu schreiben bat, wurde umgehend dies und jenes geschrieben. Brav! Angenehm!

Sie war letzte Woche in Budapest, fühlt sich seither krank. Sie werde einen Tee trinken im Hotel.

Am Abend hole ich sie wieder ab in der Villa Lindenegg. Der Kamillentee habe ihr gut getan, meinte sie. Wenn man auf dem Bett liege, sehe man durch das Dachfenster das Blattwerk der Bäume.

Das Blattwerk der Bäume.

Sie bittet mich, nicht so schnell zu gehen. Die Schuhe. Ich hatte den Hundegang. Die Altstadt ist fast leer. An die Lesung kommen um die 20 Personen. Es ist wie früher. Alles dünn gesät, gelichtet. Als wäre die Literatur ausgewandert. Als wären wir hoffnungslose Romantiker, die sich nicht in den Lauf der Dinge, wie sie nun mal sind, schicken können.

Romantiker.
Hoffnungslos.
Sich nicht darein schicken können.

Die Kaffeemaschine wird abgestellt. Sie pufft und zischt manchmal während der Lesungen. Deshalb wird sie nun jeweils abgestellt.

Sie liest fulminant, unterstützt das Gelesene mit Handbewegungen, Armbewegungen. Sie geht mit mit sich. Nicht so könnerhaft abgespult wie eine Schauspielerin.

Ich mache mir ein paar Notizen. Wortblitze, die in mich hineingewittern und dann auszittern.

Man hat ihr empfohlen, Fleisch zu essen in der Schweiz. Das Fleisch sei so gut hier. Keine Ahnung, woher das Gerücht stammt. Das Fleisch war ein wenig zu gut durch. Sie ist erfrischend, klug, schnell. Der Abend schaukelt vorbei, lau, sanft. Ich bringe sie noch zum Hotel.

Gute Reise morgen. Berlin.

Ich hatte in einer Todesanzeige einen Satz von Kafka gelesen, der mir nicht mehr aus dem Sinn wollte: Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel wird. Jetzt habe ich nachgelesen, dass das ein «untergeschobenes» Zitat sei. Früher wäre ich dem nachgegangen. Heute nicht mehr. Aber der Satz ging MIR nach. Wie der Gedanke an das Picanha-Fleisch, das ich gegessen hatte am Wochenende. Wirklich gutes Fleisch. Aus Brasilien, nicht aus der Schweiz.

Was können wir überhaupt noch? Literatur organisieren. Literatur für ein paar wenige. Mohikaner.

Kafka. Nichtkafka. Mässiges Fleisch. Gutes Fleisch.

Ich warte noch, bis niemand mehr an meinen Roman glaubt. Dann werde ich ihn auf den Grill werfen. Saignant.




1 Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
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The truth which dogs can teach you

Man kann auf verschiedene Arten zur eigenen inneren Wahrheit gelangen – – – 

Die eigene innere Wahrheit ist ein Begriff, den ich bei Jörg Steiner gefunden habe.

Ich glaube, es stand im «Netz zerreissen». Es stand dort, steht jetzt da, ich prüfe nicht nach, ob es tatsächlich so ist, es ist so, es ist meine eigene innere Wahrheit.

Es gibt Pilzsucher, Imker, Gärtner, die über oder via Pilze, Bienen, Gärten Einsichten gewinnen und so mit dem Leben zurande kommen.

Zurande kommen – – –

Man kann sicher auch über seinen Hund zu einer eigenen inneren Wahrheit gelangen. Ganz bestimmt kann man das – –  –

Einmal hatten wir eine grosse Wanderung unternommen. Ich war in den Jura gefahren, bei Saignelégier waren wir hochgestiegen. Die Bäume trugen bereits Herbstfarben, rot und gelb und orange. Ich suchte nach Pilzen. Neruda stöberte und rannte scheinbar kreuz und scheinbar quer. Nach seiner eigenen inneren Ordnung. Ich hatte ihn gefilmt mit der einfachen, digitalen Kompaktkamera. Auf dem Filmchen war zu sehen, wie er stöberte und rannte. Man hörte den Wind in den Bäumen rascheln, das Geräusch seiner Pfoten im Laub, meinen Atem. Sonst nichts. Oben auf dem Hügel waren wir beide müde. Ich hatte keine Pilze gefunden. Wir legten uns in das knisternde, goldene Laub, unter den in der Sonne wie glühenden Waldbaldachinen, und wir schnauften beide tief und fest und ruhten uns aus. Er schaute zu, wie ich schnaufte, und ich schaute zu, wie er schnaufte.

Irgendetwas war. Ich hätte nicht zu sagen vermocht, was. Ich war sehr glücklich.

Manchmal möchte ich mehr wissen über Hunde, im Sinne einer fundierten Ausbildung. Dann wieder nicht.

Es geht um Wahrheit.

Ach: Zu Hundeschulen gäbe es viel zu sagen. Nicht jetzt – – –

Als wir heimfuhren, legte er seinen Kopf auf meine Hand. Er liess ihn dort, bis wir daheim ankamen, durch den ganzen Jura hindurch und durch Biel und durch Nidau hindurch. Ich bewegte die Hand so wenig wie er seine Schnauze.

Alles schien leicht – – – Alles war leicht – – –

Die Worte, die Worte – – – Sie hielten sich ruhig, versteckt, bedeckt, hatten sich verschämt zurückgezogen. In ihre Bunker.

Heute fiel mir ein: Seit ich mit ihm lebe, sind die Forsythien im Frühling gelber als vorher. Sie sind richtig richtig gelb.
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